Mein deutscher Kollege (Mjerumani Mwenzangu)

„Shikamoo, Mama Rajabu!“, rufe ich – wie jeden Morgen – der Frau, die auf meinem Arbeitsweg Vitambua (Bällchen aus grobem Reismehl) frittiert zu. Wie jeden Morgen antwortet sie: „Marahabaaaaa Flansiskaaaa! Hujambo?“. Und da es mir, wie immer gut geht, antworte ich: „Sijambo.“

Nein, natürlich ist das auch ab und zu gelogen, wem kann es denn jeden Tag gut gehen? Eine Floskel für „Mir geht es schlecht.“ gibt es allerdings nicht im üblichen Sprachgebrauch. Aber jetzt geht es mir wirklich gut, ich habe mir einen festen Plan für heute gemacht und will daher schnell ins Office. Darum auch keinen Smalltalk mit Mama Rajabu, was gerade auch kein Problem darstellt, weil sie genug Kunden hat. An anderen Morgen ist sie sehr geschwätzig und einmal hatte sie es geschafft mich eine ganze Stunde in ein Gespräch über Gott und die Welt zu verwickeln. Und das am Morgen, wo ich doch eigentlich rechtzeitig zur Arbeit kommen wollte. Aber das mit der Zeit wird nicht so ernst genommen. Zuspätkommen stellt selten ein Problem dar.

Wie ich weiterlaufe fängt mich eine andere Mama ein, die ich vom Sehen her kenne und mir nicht ganz sicher bin, ob ich sie nicht auch schon vor ungefähr einem halben Jahr Computer unterrichtet habe. Ganz aufgeregt nimmt sie meine Hand und meint ich dürfe nicht weiterlaufen, bevor ich nicht meinen deutschen Kollegen begrüßt hätte. Sie zeigte auf ein Auto direkt neben uns, in dem drei kleine Jungs saßen. Ich sah sie fragend an und sie meinte ich solle ihn doch einfach auf Deutsch begrüßen.

Ich schaute mich weiter um und sah definitiv niemanden, der aussah, wie ein Deutscher und außerdem hatte ich dafür jetzt gar keinen Kopf. Warum muss ich unbedingt mit einem Deutschen reden, nur weil er Deutscher ist, wo ich ja auch sonst nicht jeden Deutschen begrüße, den ich sehe? Und außerdem wollte ich nur schnell ins Office.

Ich hatte schon genug von ihrer Wichtigtuerei. Das zeigte ich ihr aber nicht und fragte sie noch mal höflichkeitshalber, wo er denn jetzt sei. Sie zeigte auf den Jungen, der auf dem Fahrersitz des Autos saß. „Ich kann mich nicht mit ihm verständigen…“, bedauerte sie. „Aber jetzt frag ihn mal, wie es ihm geht, auf deutsch natürlich.“, sie war tatsächlich ganz aufgeregt und sah mich erwartungsvoll an.

Ich runzelte die Stirn, war jetzt aber doch irgendwie neugierig. „Fährst du das Auto hier?“, fragte ich den Jungen am Steuer auf Deutsch. „Nee, natürlich nicht, oder dürfen das Kinder in Tansania schon?“ „Nein, eigentlich nicht…“

Das fühlte sich seltsam an. Ich war jetzt einigermaßen beeindruckt und die Frau neben mir grinste mich triumphierend an. Ein Junge, der auch nicht viel anders aussah als meine Schüler. Er war vielleicht ein bisschen heller und wenn ich ihn genauer ansah, fiel mir auch auf, dass er irgendwie Wazungu-Blut in sich haben musste. Doch dann sprach er Deutsch, mit der Stimme meines Bruders mit seinem leichten schwäbischen Akzent, dass ich eine Gänsehaut bekam.

Und das alles, wo ich schon eine ganze Weile selbst kaum Deutsch geredet oder auch nur gehört hätte, geschweige denn mit schwäbischem Akzent.

Die Stimme dieses Jungen brachte mich gehörig durcheinander, sie passte einfach nicht zum Mund aus dem sie kam. „Wenn du jetzt nicht Auto fährst in Tansania, was machst du dann hier?“ „Ich mache Urlaub!“, antwortete er mir darauf. Er war kein bisschen schüchtern, schien sich zu freuen, mit mir Deutsch reden zu können und hatte auch einen netten aufgeweckten Gesichtsausdruck und trotz seiner dunklen Haut erinnerte er mich an meinen Bruder in Deutschland.

Ich unterhielt mich eine Weile mit ihm. Er erzählte mir, dass er Sebastian hieße und hier die Familie von seinem Vater besuchen würde. Sein Vater sei Tansanier, würde aber mit seiner deutschen Frau und seinem Sohn – also ihm – in Deutschland leben. Jetzt in den Schulferien, wollte er sein Heimatland seinem Sohn zeigen, welcher weder Kiswahili spricht noch sich vorstellen konnte, wie es dort aussieht. Klar, dieser ist genau wie mein Bruder in Deutschland aufgewachsen und hat nichts von der Welt gesehen, außer im Fernsehen, in seiner Phantasie beim Bücherlesen oder bei Erzählungen seines Vaters. Der einzige Unterschied: Er sieht aus, wie einer von hier.

Er ist wie mein Bruder, aber er sieht nicht so aus. Meinem Bruder würden alle, so wie mir auch „Mzungu“ also „Weißer“ hinterher brüllen. Sebastian würden sie erst einmal als Ihresgleichen ansehen und in Ruhe lassen. Zunächst sah ich das als ziemlichen Vorteil an, die Leute hier würden ihn nicht immer ärgern, anquatschen und ihm dummes Zeug hinterher rufen und er könnte sich verstecken, was ich hier definitiv nicht kann. Andererseits was hilft es ihm, wo er doch in Deutschland lebt?

Er ist ein Weißer aber ansonsten sieht er schwarz aus.

Diese Tatsache verwirrte mich noch eine ganze Weile. Wieso spielt die Hautfarbe so eine große Rolle? Ist doch nur ein bisschen Haut, das bei den Menschen eben unterschiedlich ist. Nur weil jemand anders aussieht als andere, muss er ja nicht gleich auch andere Angewohnheiten haben. Und nur weil einer aussieht, wie die anderen, kann er trotzdem ganz anders sein. Ich war nur nicht darauf gefasst. Hätte ich Sebastian in Deutschland kennengelernt, dann hätte ich mit Sicherheit nicht sonderlich gestaunt.

Er ist genauso clever wie mein Bruder, ist ganz ähnlich erzogen worden wie ich und in ähnlichem Umfeld aufgewachsen, trotz allem habe ich ihm das auf den ersten Blick kein bisschen angesehen. Ich hätte alle mögliche Leute für „meinen deutschen Kollegen“ gehalten aber doch nicht einen kleinen frechen dunkelhäutigen Jungen auf dem Fahrersitz von einem klapprigen Auto mitten in Kibangu.

Hätte mich die Mama, die mich immer noch bei der Hand hält und uns staunend zuhört nicht so aufdringlich auf ihn aufmerksam gemacht, dann wäre ich an ihm vorbei gelaufen und rechtzeitig bei der Arbeit erschienen.

 

Franziska Müller

27.09.12