Einmal spannend Wäsche waschen oder Angst vor dem Wasser

„Kapitel Zwanzig. Tom kam in trauriger Stimmung nach Hause und schon das erste Wort seiner Tante zeigte ihm, dass er mit seinen Sorgen an einem gänzlich ungeeigneten Platz gekommen war. ‚Tom! Ich möchte dir am liebsten das Fell bei lebendigem Leibe abziehen!‘“, liest mir die Stimme von einem Freund, den ich in Deutschland zurückgelassen habe, vor. Als es an der Tür klopft und Aishas Stimme „Hodi“ – was so viel wie „kann ich hereinkommen?“ heißt – werfe ich meinen Mp3-player mit Tom Sawyer von mir, brülle „Karibu“ – also „Willkommen“ bzw. „du darfst reinkommen.“ – durchs ganze Haus und trockne mir notdürftig die Hände ab, was ich auch hätte bleiben lassen können; ich hatte es einfach zu eilig Aisha entgegenzustürmen und sie in den Arm zu nehmen. Dabei wischte ich notgedrungen all meinen Seifenschaum an ihrem T-Shirt ab, was sie mir aber keinen Falls übel nahm. Auch sie freute sich sehr mich zu sehen und meinte, sie müsse mir dringend etwas erzählen.

„Okay, aber ich müsste mal noch meine Wäsche fertig waschen.“ Da sie mir nicht anbot mir zu helfen, wusste ich, dass sie entweder wirklich etwas sehr Wichtiges auf dem Herzen hatte, verwirrt war oder sich einfach so sehr freute mich zu sehen, dass sie es völlig vergessen hatte.

Wäsche Waschen von Hand in einer großen Schüssel auf dem Boden, ist eines der Dinge die ich nicht vermisse, wo ich wieder in Deutschland bin. Also an dieser Stelle mal ein großes Lob an den Erfinder der Waschmaschine, ich weiß seine Erfindung jetzt wirklich zu schätzen. Daher habe ich auch jedes mal beim Waschen mein Tom Sawyer-Hörbuch weitergehört, das ich zum Abschied in Deutschland geschenkt bekommen habe, was mir diese langweilige Prozedur einigermaßen erträglich gemacht hatte.

Von so einer lieben Freundin live unterhalten zu werden, ist aber natürlich noch besser, selbst wenn sie mir nicht dabei hilft. Es ist das erste Mal das ich meine beste Freundin hier in Tansania wieder sehe nachdem wir zusammen auf Sansibar waren. Sie ist schon früher zurück gefahren und ich erst vier Tage später, daher haben wir uns jetzt fünf Tage lang nicht gesehen, wo wir uns doch sonst jeden Tag sehen.

So sitze ich da mit meiner Wäsche und sie hat sich wild gestikulierend auf einem Stuhl auf einer Unterhose von David, meinem Mitfreiwilligen, niedergelassen. Sie meinte sie wäre am Mittwoch, dem Tag ihrer Rückreise nicht mehr im TSE also unserer Arbeitsstelle gewesen. Auf meine Frage „Warum nicht?“ freute sie sich, mit ihrer Geschichte anfangen zu können. „In Stone Town, kurz nachdem ich mich von euch verabschiedet hatte, als ich auf die Fähre steigen wollte, dauerte das alles schon etwas länger und einige Leute beschwerten sich. Es hieß eine andere Fähre könnte nicht fahren wegen dem Wetter. Naja, also irgendwie sind wir dann aufgestiegen und ich habe mich unten rein gesetzt, da gab es einen Fernseher und du weißt ja wie gerne ich fernsehe.“

Und ob ich das wusste! Überall, wo es einen Fernseher gibt, bleibt sie daran hängen, egal was läuft. Da habe ich mich schon für sie gefreut, dass sie wenigstens eine gute Beschäftigung gefunden hatte, da sie schon alleine Fähre fahren musste.

„Ja genau, dann saß ich da vor dem Fernseher und schaute mir eine arabische Sendung an und plötzlich schaukelt das Boot. Bumm bumm macht es unten. Eine Frau steht auf nimmt ihr Kind auf den Arm und rennt nach draußen. Eine andere Frau fällt um mitten im Gang! Das Bot schaukelt und hüpft auf den Wellen und immer wieder knallt das Wasser laut dagegen.“

Wild gestikulierend sitzt sie da auf Davids Unterhose und ich hänge ihr so fasziniert an den Lippen, dass sich auch schon meine Wäsche vernachlässige. Aisha, die auf der Hinfahrt nur keine Panik geschoben hat, weil ich dabei war und ihr erzählt habe, dass ich sie retten werde, wenn wir sinken, schließlich könne ich ja so gut schwimmen und zudem wir richtig schönes Wetter hatten. Es sind in letzter Zeit wirklich beängstigend viele Fähren zwischen Dar es Salaam und Sansibar gesunken und dann so ein Angsthase wie Aisha kommt in ein Unwetter.

„Mir war auch schlecht und dummerweise habe ich keine Tüte genommen, als der Mann sie verteilt hatte. Ich konnte mich auch daran erinnern, dass du gesagt hast, dass wenn es schaukelt, dass einem innen schneller schlecht wird als draußen. Aber ich konnte nicht nach draußen! Da war Sturm und wenn ich über die Rehling falle, was ist dann? Lieber sinke ich mit dem Boot!“

Wie der Großteil der Tansanier kann auch Aisha nicht schwimmen und hat gehörige Angst vor Wasser. Bei Strandausflügen war sie nie mit den Kids mit im Wasser. Nur auf Sansibar hatte ich sie einmal überredet, wenigstens ein bisschen mit mir im flachen Wasser zu planschen, was ihr aber auch schon nicht ganz geheuer wahr.

„Die Kinder fingen alle zu weinen an und ein Mann hatte ein fremdes Kind auf dem Arm und suchte seine Mutter. Alle Leute um mich rum mussten sich übergeben. Überall war Chaos. Ich stand auf, schaute verzweifelt um mich und setzte mich wieder hin. Ich hatte mein Handy in der Hand. Da war kein Geld drauf – wie immer halt – aber ich suchte nach deiner Nummer um dich anzuklingeln. Hab es dann aber doch nicht gemacht.“

„Warum jetzt?“

„Es hätte ja doch nichts geholfen… Was hätte ich dir denn sagen sollen? Du hättest nur auch Angst bekommen.“

Ich glaube ich hätte gelacht und ihr sowie so nicht geglaubt. Auf Sansibar war die ganze Zeit über schönstes Wetter und die gute Fähre kann nicht sinken. Ich hätte wohl versucht sie zu beruhigen, aber ich hätte nicht ernst sein können… Das sagte ich ihr besser nicht und grinste sie an, dass sie weiterredete.

„Neben mir saß eine Engländerin, sie sah, wie verzweifelt ich war und nahm meine Hand. Ich schaute sie an und sie lächelte. Sie meinte: ‚Don’t worry.‘, den Rest habe ich nicht verstanden. Ich sagte ihr ‚Thank you‘ und sie lächelte wieder. Dann redete sie ganz viel und ich redete auch aber auf Kiswahili. Wir verstanden uns gar nicht, aber es war trotzdem gut, dass sie da war. Wenn sie redete verstand ich einzelne Wörter. Daher konzentrierte ich mich ganz genau darauf ihr zuzuhören. Franzi, ich sag dir, ich hatte solche Angst! Aber ich dachte es hilft alles nichts, wenn wir jetzt untergehen, dann kann ich ja jetzt dieser Engländerin zuhören, sie lenkt mich schon ein bisschen ab und falls wir nicht sinken, dann habe ich ein bisschen Englisch gelernt. Sie versuchte mir ein Spiel zu erklären. Sie nahm ein Papier und einen Bleistift, malte neun Kästchen und machte in ein Kästchen ein Kreuz und zeigte mir, wie ich einen Kringel in ein anderes Kästchen machen soll und wer drei in einer Reihe hatte, ist der Sieger. Das spielten wir dreimal und dann ging es nicht mehr. Weil dann sanken wir wirklich!“

Sie brachte das so überzeugend rüber, dass ich sie so entgeistert anstarrte, dass wir beide lachen mussten. Schließlich lebte sie noch und saß putzmunter hier vor mir und von einer gesunkenen Fähre hätte ich wohl früher gehört.

„Nein, wir sanken gar nicht, aber das dachten alle.“

Ich bezweifele ja, dass alle das dachten… Aber auch hier ließ ich sie in ihrem Glauben.

„Es haben Leute angefangen zu schreien, nicht nur die Kinder. Die Engländerin meinte wieder „Don’t worry.“. Da dachte ich, vielleicht soll ich mir wirklich keine Sorgen machen, vielleicht kann sie ja so gut schwimmen wie du und wird mich retten. Das fragte ich sie aber Kiswahili versteht sie ja nicht. Ich weiß nicht, wie es gewesen wäre, wenn du da gewesen wärst… Aber ich war ja auf einer guten Fähre, nicht auf so einer schmalen, wie die, die letzte Woche gesunken ist. Trotzdem war ich relativ sicher, dass wir sinken werden und ich ertrinken, wenn die Engländerin entweder nicht schwimmen kann oder lieber jemanden anderes rettet, schließlich kennt sie mich ja eigentlich nicht. Ich wäre lieber in Stone Town geblieben, wenn ich das gewusst hätte.“

„Aber du bist ja irgendwie angekommen.“

„Ja, es war eben eine gute Fähre. Wir sind angekommen und auch nicht gesunken. Sobald wir in der Nähe von Kigamboni waren, hat es kein bisschen mehr geschaukelt und weißt du wie erleichtert ich war, Franzi? Also ich bin dann mit dem Daladala nach Hause gefahren und ins TSE bin ich nicht mehr gegangen, ich musste mich erst mal zuhause ausruhen. Ich habe sogar vergessen im TSE bescheid zu sagen, dass ich nicht mehr komme. Heute habe ich Ärger vom Mkurugenzi – sie meint Alfred unseren Boss – bekommen. Aber ich freue mich jetzt, dass du wieder da bist! Ich habe dich wirklich gleich vermisst, du hast ja meine SMS bekommen.“

Sie hatte mir eine SMS geschrieben, einen Tag nachdem sie wieder in Dar war und meinte sie würde mich schon jetzt vermissen. Auf meine Frage, ob sie denn gut angekommen wäre, habe ich keine Antwort bekommen, was eigentlich untypisch ist und mich auch schon geärgert hatte. Aber das ist ja der Rätsels Lösung hier.

Meine Wäsche ist jetzt auch gewaschen und beim Aufhängen hat Aisha mir dann sogar geholfen!

 

 

Verfasst am 23. September 2012 beruhend auf einem Ereignis vom 26. Juli 2012